Schön und sicher: privater öffentlicher Raum
Pamphlet #10, nach dem debatten_gelage am 26.5.2003
Gast: Professor Heinritz, Universität München
 

 

+++ Konsum einer ästhetisierten Stadt +++ private öffentliche Räume bieten psychologische Sicherheit +++ Ausdifferenzierung der öffentlichen Räume für verschiedene Teilöffentlichkeiten +++ findet jeder seinen Raum? +++ „guter“ öffentlicher Raum lässt Freiheit und macht demokratiefähig +++

Nach den Erläuterungen zu Pamphlet Nr. 9 entflammt eine lebhafte Debatte. Diese lässt sich  anhand der im Folgenden aufbereiteten Stichproben nachvollziehen.

Authentisch oder vorgetäuscht?

Nach köstlichem und umfassenden Gelage glaubt Prof. Heinritz unsere Motivation im AK_ÖR zu entlarven:

Das neue, wiederaufkeimende Interesse am ÖR ginge vor allem von der jungen Mittelschicht aus, welche aus Suburbia in die Stadt zurück kehrt. Die Leute aus Suburbia hätten in Disneyland die Stadt kennen gelernt, bzw. ein disneyfiziertes Bild der Stadt. Dieses Bild tragen sie hinein in die „reale“ Stadt als Ziel Ihres Suchens und Handelns.

Als Beispiel für eine nach diesen Idealvorstellungen erbaute Stadt wird das vom Disney Konzern erbaute celebration city genannt. Ein komplett private betriebene Stadt. Alles synthetisch, eine dem Konsumierenden vorgetäuschte Stadt? Prof. Heinritz verweist auf die reale Existenz des Gebauten.

Im Vordergrund steht der äußere Schein: Bilder, die eine bestimmte Ästhetik, ein wohl kalkuliertes Lebensgefühl, historische Tiefe vermitteln sollen. Ein Genießen an der Oberfläche. Den öffentlichen Raum auf diesen Aspekt reduzierend, erscheint sein privater Status kaum als Problem.

Ganz ähnliche Bedürfnisse scheinen hinter dem Phänomen der Attraktivitätssteigerung der Städte durch die Rehistorisierung ihrer Innenstädte zu stecken. Die Städte und ihre öffentlichen Räume werden den neu gewonnenen Besuchern mundgerecht serviert.

Ein gefährliches Realitätsdefizit? Die Menschen lernen heute über aufbereitete, inszenierte Bilder (Fernsehen, Kataloge, Internet) Ihre Umwelt kennen. Was kann vor diesem Hintergrund eine authentische Realität sein?

Ist das „sich in Szene setzen“ nicht ganz normal? Auch für die Architektur und Städtebau gibt es Vorbilder. Musste die ins Feld hinaus gebaute und ganz an südländischen Vorbildern orientierte Ludwigstraße auf den Zeitgenossen nicht auch wie ein Disneyland wirken? Auch da waren die Stimmungen vorbereitet und gesteuert.

Disneyland als Wissensspeicher, als Vervielfältigung von Erlebbaren. Daher haben die Münchner ihre Kenntnisse der italienischen und griechischen Baukunst.

Menschen kommerzialisieren sich, ästhetisieren sich – Räume verändern sich dementsprechend. (Siehe Diskussion um Privatkapseln)

In der Debatte um private öffentliche Räume ringen die Teilnehmer darum, mit Ihren Bewertungen nicht in Heinritz’ ideologische Schublade zu fallen – der gute und der böse ÖR.

Man ringt um tiefere Argumente, um dem Misstrauen gegenüber Mall & Co auf die Spur zu kommen.

ÖR für alle, unwahrscheinlich

„gute Öffentlichkeit“ = höchstmögliche Integration, die Gleichzeitigkeit des Verschiedenen, viele verschiedene Aneignungsmöglichkeiten

Beobachtung: Zwischen dem Publikum des Pep und dem der 5 Höfe besteht ein deutlicher Kontrast. Es handelt sich um 2 verschiedene teilöffentliche Gruppen. Wobei eine Zugehörigkeit zu beiden nicht so unwahrscheinlich ist. In der Zeit, d.h. im Laufe eines Tages/einer Woche kann man an beiden teilhaben – hier zum zielstrebigen und bezahlbaren Einkaufen, dort zum Schauen und Erleben.

Ist Gruppenbildung erlaubt? Ein separater Raum für jede Gruppe, für jede Tageszeit, für jede Stimmung? Liegt die gewünschte Vielfalt des ÖR in dem Nebeneinander der spezialisierten Räume und die Freiheit des Urbanauten in deren Auswahl?

Die Frage bleibt: findet jeder seinen Raum? Was macht man, wenn die Mall abends schließt? Was ist, wenn man nicht die Wahl hat teilzuhaben an den versch. teilöffentlichen Räumen?

Der ÖR hat klare Standards und Regeln, es gibt ein Regelwerk des Dazugehörens. Der ÖR sollte sich selber regulieren. Die Straße gibt sich selbst ihre Normen und Werte.

Im Pep gibt es die Regeln nach den Interessen der Betreiber (Hausordnung), private Normen und Werte bestimmen über die Dazugehörigkeit.

 

Sicherheitsproblematik als Grund für privaten ÖR

Entsolidarisierung der Gesellschaft: Emanzipation (jeder ist seines Glückes Schmied) soziales Defizit: Normen können im ÖR nicht durchgesetzt werden (10-Jähriger mit Zigarette) (Prof. Heinritz)

Sicherheitsdienste und Kameras in priv. ÖR entsprechen Bedürfnis großer Bevölkerungsschichten, dabei geht es vor allem um psychologische Sicherheit. Diesbezüglich schaffen die privaten öffentlichen Räume einen Standard, der für viele Vorbildcharakter auch für den ÖR hat.

ÖR ist sicher, wenn hell, lichtdurchflutet, übersichtlich, geordnet – best. Leute fühlen sich nicht mehr wohl – Sicherheit schließt aus

Die Überwachung des priv. ÖR ist niemals umfassend. Es bleibt ein gewisse Toleranz: eine Mall lässt sich nicht total säubern, das würde sofort Aufsehen erregen und nicht akzeptiert.

 

Diskussionsbedarf

Allein die Dosis macht das Gift
Viele private öffentliche Räume - welche Konsequenzen hat das für die Gesellschaft?

Warum ist ein Einkaufszentrum als Mittelpunkt eines Quartiers zu traurig?
Vergleich des Einkaufszentrums mit einem Platz:
- EZ: funktionsreduziert, keine eigene Gestaltungsfreiheit, Konsum zu dominant, Enttäuschung
- Platz: Anregungspotential viel größer, erzählt Geschichten, verschiedene Geschichten

ÖR als ein Raum der Freiheit
z.B. die Freiheit, nicht ständig von außen programmiert zu werden.

ÖR für einen demokratiefähigen Bürger
Der Bürger kann im ÖR die Normen und Werte der Gesellschaft erfahren und lernen (Yvonne)

 

Weiterdenken

- Diskurs als Ersatz bzw. Gegensteuerung zu privaten ÖR (Ben)
- Körnigkeit von Strukturen
- Zeit lassen, nicht alle Flächen immer optimal nutzen (Prof. Heinritz)
- Nutzbarmachen von anderen Frei-Räumen: Platz, Park, Zwischenraum (Agnes)

Agnes Förster