Mit Symbolkraft, authentisch und identitätsstiftend
Pamphlet #11, nach dem debatten_gelage am 16.6.2003
 

 

+++ öffentliche Räume haben eine subjektive Bedeutung +++ der Raum kann Geschichten erzählen +++ kann uns der Raum verbinden? +++ gegen Verinselung und Subjektivierung +++ verbindet uns das Event? +++ temporäre Nutzungen reichen der Raum symbolisch an +++

 

Abwarten und Teetrinken?

weniger ein Pamphlet als vielmehr eine Sammlung unbeantworteter Fragen .... mit einer kleinen Anregung.

Des großen Heinritz Schlusswort, Flächen doch auch mal so zu belassen, wie sie sind, beschäftigte die Köpfe sehr: War es Ausdruck tiefer Resignation oder doch der Weisheit letzter Schluss? Wie, wann und warum wir uns Räume (nicht) aneignen, das galt es herauszufinden.

Die schnelle Antwort a là „Symbolkraft muss er haben, authentisch muss er sein, der eigenen Identität muss er entsprechen“ war auseinander zu nehmen, denn: Symbolisierung – Authentizität – Identität, das sind Schlagwörter, deren Grund es aufzuspüren gilt.

 

Der Ausgangspunkt - worüber wir reden

Dass „Raum“ nicht nur materiell ist, sondern immer auch subjektiv mit Bedeutung aufgeladen wird, scheint Konsens zu sein. Die interessante Frage ist nun aber eben, nach welchen Kriterien das geschieht und inwieweit die Gestalt des Raums – und damit auch des Planers Tätigkeit – überhaupt von Bedeutung ist.

Einige Beispiele: In Berlin werden Brachflächen – häufig umzäunt, allenfalls von Kindern genutzt, ihrer Natürlichkeit wegen Augäpfel der Naturschützer –  derzeit oft einer temporären Nutzung zugeführt, ob für Beachvolleyball oder als Künstlerwiese; und auch im Palast der Republik dürfen momentan Künstler residieren. Erfolgreiche Projekte, die letztendlich auch strategisch sind; Ziel: Imagepflege, Symbolverleihung – ein interessanter Punkt, v.a. auch deshalb weil bei temporärer Nutzung nicht viel Aufheben um die Gestalt gemacht wird, vielmehr die Nutzung im Vordergrund steht. Temporäre Nutzungen allerdings zeitigt nicht die Strategie des Abwartens und Teetrinkens, sondern sie entspringen gezielter Planung.

Temporär verschieden genutzt wird auch der Platz vor dem Lenbachhaus in München – alle erinnern sich höchst gern an den Brunnen vor dem Tore.

Der Münchner Marienhof: tja, ob dessen Aneignungskraft sind wir uns so uneins, dass uns nur eine empirische Studie weiterhelfen könnte ...

Die Diskussion um den Bahndeckel auf der Theresienhöhe: hätte nicht die Umsetzung der preisgekrönten Düne eine einmalige Identifikationsmöglichkeit geschaffen?

 

Symbolkraft - der Raum „erzählt“

Ein Raum, über dessen Symbolkraft wir uns einig sind: der Marienplatz – allerdings bedeutet er für uns alle das Gleiche? Oh nein: Touristenmeile, historisches Zentrum, Raum für Meinungsäußerung – ein Raum kann für vieles stehen. Symbolkraft heißt, dass der Raum es schafft, uns etwas zu erzählen; erzählen, das heißt Gemeinsamkeit stiften (jetzt auch mal rein funktionalpragmatisch betrachtet). Hm`, aber inwieweit regt die Gestalt Geschichten an? Und: welche Gestalt kann das überhaupt? Muss sie dazu nicht ganz einfach nur „echt“ sein, „authentisch“?

 

Authentizität - kann der Raum auch „lügen“

Kann also die celebration city ganz einfach deshalb nichts erzählen, weil sie nicht authentisch ist? Was aber heißt denn da jetzt überhaupt authentisch? Und: erzählt denn die celebration city tatsächlich gar niemandem etwas? Oder nur uns alteuropäischen Mittelstandskindern – sind wir vielleicht taub? Oder aber erzählt sie und lügt ganz einfach dabei? Lügen, d.h. ganz bewusst den Hörer hinters Licht führen. Da stellt sich dann die Frage nach dem Akteur, der jemanden zu irgendeinem Zwecke täuschen will.

Wagen wir an diesem Punkte einen Blick zu den von Ben D. rezipierten Soziologen, die von der Erlebnisgesellschaft[1] zu sprechen belieben, die geprägt ist von einem Objektivitätsverlust und einem Subjektivitätsgewinn, da für das Individuum nur noch das Erlebnis zählt, der Event, die medialvermittelte Welt – soll heißen unser Bild eines gewöhnlichen (?) Glases viel stärker von den Medien beeinflusst ist als von unserer realen Erfahrung mit Gläsern. Das heißt dann, dass unsere Weltsicht eine subjektive, eine medialvermittelte geworden ist, eine u.U. vereinheitlicht hollywoodisierte. Genau hier ist wohl der qualitative Unterschied zur doch wohl schon immer existierenden subjektiven Innenwahrnehmung zu sehen: die unsrige wird gesteuert von den Medien – fragt sich natürlich, von wem oder wovon sie früher gesteuert wurde: Könnte man der Religion derartiges anlasten – nach dem Motto: früher war eine Pilgerfahrt nach Lourdes Pflicht, heute eben ein Besuch beim Gemüsehändler von Amélie? Oder ist es zu sehr in heutigen Kategorien gedacht, wenn wir uns überlegen, ob nicht etwa auch ein Ägyptischer Pharao sich in Szene setzte und die subjektive Wahrnehmung seiner Untertanen beeinflusste?

Interessant jedenfalls sind die Selektionsprozesse unserer Wahrnehmung – entspringt nicht etwa unser Ideal eines Platzes Urlaubs- und Fernseherlebnissen und zeugt somit von unserem allgemeinen Realitätsverlust? Und was passiert mit der Authentizität, wenn wir nur noch medial gesteuert sind – und von wem um alles in der Welt werden wir eigentlich gesteuert, wer steckt hinter „den Medien“? Was ist dann authentisch, eben genau die Lüge?

Aber: sollte die Frage nicht überhaupt ganz anders gestellt werden? Sollte nicht statt „ist dieser Raum authentisch?“ gefragt werden „gibt mir dieser Raum die Möglichkeit authentisch zu sein?“ Doch was wiederum heißt dies?

 

Identität - das kleine Ich-Bin-Ich

Wenn eine Person authentisch ist, also ganz Ich sein darf und kann, nicht Teile ihrer Persönlichkeit verstecken muss, dann bringt sie doch in ihrer Authentizität ihre Identität zum Ausdruck – schon wieder so ein Begriff: Identität. Diese bildet sich in der Auseinandersetzung mit der Welt, mit anderen Dingen. Was passiert nun, wenn diese nicht authentisch sind? Ein Teufelskreis? Alles nur noch mediatisiert? Bilden sich dann „unechte“ Identitäten? Jeder baut sich sein Kartenhaus und wartet darauf, dass es zusammenbricht?

Andererseits fühlen wir uns doch ganz gut und nicht wie mediatisierte Wracks! Naja, dann halt die anderen ... Oder merken wir ganz einfach nicht, dass sich unsere Identitäten zunehmend durch subjektive Erlebnisse konstituieren, der gemeinsame Nenner immer kleiner wird, wir sozusagen verinseln und uns vor dem gänzlichen Auseinanderdriften nur noch künstliche Anker wie Events bewahren, die an die Stelle des ursprünglich Gemeinsamen treten? Doch damit wären wir eigentlich wieder nach dem künstlichen bzw. dem authentischen .... aus was bestand denn das ursprüngliche und somit natürliche, echte, authentische Gemeinsame? .... objektive Welterfahrung ....... war nicht auch die gesteuert?

 

Die Konsequenzen - was jetzt?

Ja, was also jetzt? Welche Konsequenzen hat all dies für die Planung, für die Schaffung aneignungsfähiger Räume? Zunächst wohl gilt: auf jeden Fall sind derartige gesellschaftliche Veränderungen mit in die Überlegungen einzubeziehen. Nur wie? Hier gilt es m.E. weiterzudenken: denn die Strategie des Abwarten und Teetrinkens ist wohl gerade für Planer keine wirkliche ... die wären dann nämlich fast schon obsolet ... hihi ... und ob sie aufgeht, wäre auch noch demonstrandum. Die oben angeführten temporären Nutzungen tragen den Veränderungen doch gerade in dem Sinn Rechnung, als dass sie dazu ermutigen, mit dem Raum zu spielen, mit ihm in Kontakt zu treten, Geschichten anzufangen, gegebenenfalls ganz individuell und anfassbar – das muss doch in einer mediatisierten Welt geradezu ein Erlebnis (!) sein! Entspricht also der Planer als Kurator und Koordinator genau den heutigen Erfordernissen? Es wäre wohl durchaus gewinnbringend dies Schritt für Schritt an den obigen Überlegungen zu überprüfen.

Claudia Zech

 


[1] vgl.: Schulze, Gerhard (1992) Die Erlebnisgesellschaft. Frankfurt/M.: Campus.